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Danielle Bouchet: Wuppertal ohne Ausländer
Wuppertal ohne Ausländer
Am Wochenende bekomme ich Besuch von Freunden und möchte für sie etwas Besonderes kochen. Ich beschließe, zum Elberfelder Markt zu gehen.
Seltsam… auf dem Weg dorthin durch die Stadt kommen mir nur große blonde Menschen mit blauen Augen entgegen.
Bald erreiche ich den Marktplatz und höre im Vorbeigehen die Händler, die ihre Ware anpreisen: „Junge Frau, hier, sehen Sie, Kohlsorten für jeden Geschmack: Rotkohl, Weißkohl, Grünkohl, Spitzkohl, Blumenkohl, Rosenkohl, Chinakohl…. Beste deutsche Qualität! Und leckere Kartoffeln und Möhren, nur auf deutschem Boden gewachsen!“
Nicht ganz überzeugt, verlasse ich den Markt. Um die Ecke ist ein türkisches Lebensmittelgeschäft. Ich werde alle Zutaten für ein Taboulé kaufen: frische Minze, Couscous, Zitrone, Paprika, Tomaten. Als ich vor dem Laden stehe, klebt ein Zettel an der Tür: „Unbekannt verzogen“.
Was ist heute in der Stadt los? Ich erkenne sie kaum wieder, alles ist viel stiller als sonst, so leblos. Mir fällt auf, dass um mich herum nur Deutsch gesprochen wird. Sind alle Ausländer über Nacht ausgewandert? Oder etwa noch nicht aufgestanden? Wahrscheinlich bilde ich mir etwas ein und beschließe, in mein Stammcafé zu gehen, wo ich einen leckeren Cappuccino trinken kann, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Dort angekommen steht eine blonde Frau hinter der Theke. Verwundert frage ich: „Hallo, sind Sie neu hier? Ich bin hier Stammgast und habe Sie noch nie gesehen! Wo sind die spanischen und italienischen Besitzer?“ Die blonde Frau schaut mich irritiert an: „Es tut mir leid, aber Sie irren sich, hier ist weder ein Italiener noch ein Spanier, hier sind nur Deutsche!“ „Doch, doch, sage ich, ich bin doch nicht verrückt!“ Ich renne raus und fange an zu schreien.
„Danielle, Danielle“ eine leise Stimme, weit weg, und eine sanfte Berührung an meiner Schulter; „Danielle, was ist mit dir los? Wach auf!“ Mein eigener Schrei steckt noch in der Kehle, als ich die Augen öffne. Ich liege im Bett neben meinem Mann und kann nur erschöpft flüstern: „Gott sei Dank, es war nur ein Alptraum ... Stelle Dir vor, nur Deutsche in Wuppertal – die Ausländer waren weg.“
Ich atme erleichtert auf. Nur ein böser Traum.
Es ist beschlossene Sache: Heute gehe ich in mein Stammcafé und kaufe im türkischen Geschäft Couscous, Minze und Fladenbrot.
Wie arm und langweilig wäre Wuppertal ohne andere Kulturen und Küche. Ich als Französin gehöre auch dazu!
Texte und Podcasts vom 30.11.2022
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