Der Stadteilschreiber am Karfreitag
AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN ZEITGEFÜHL
In kontaktgesperrten Zeiten gibt es eben nur noch Tag und Nacht. Wenn man ausgeschlafen hat, wickelt man die Erinnerung an eine Morgenroutine ab. Dann ruft man „Schatz, ich muss ins Büro" und dann setzt man sich neben Schatz an den Küchentisch und klappt den Laptop auf. Profis ziehen vorher sogar noch eine Hose an. Home Sweet Home Office lautet die Devise - und in einem unaufmerksamen Moment verpasst man den Übergang von „Essen, weil man hungrig ist" zu Essen als Beschäftigung.
Bewegung lautet also das Zauberwort, und zum Glück muss ich ja immer mal in meine Stadtteile, um mich dort umzuschauen. Es ist also schlicht: ein Tag, an dem ich mich mal wieder aufmache. Fühlt sich irgendwie an wie: Heute. Und fühlt sich an wie Frühling. Wow, echt ein Wetterchen zum Eierlegen. Während ich in einem Fenster tatsächlich einige kunstvoll arrangierte Eier erkennen kann, frage ich mich, was das nun eigentlich wieder für eine Redewendung ist.
Als Mann von Welt kann ich aber natürlich durch die Straßen laufen UND gleichzeitig mit Siri quatschen. Siri, was bedeutet Wetterchen zum Eierlegen? „Es ist eine unvermutet warme, meist sonnige Witterung, die bei Menschen in der Regel zu Hormonschüben führt". Aha, wär das auch geklärt. Ich laufe weiter, schau mich um und warte auf Hormonschübe. Auf dem Handy hab ich kurz gesehen, dass heute Freitag, der 10. April ist. Freitag hätte ich nun so gar nicht vermutet.
Es haben nämlich nicht mal die Supermärkte auf. Aber wer braucht schon Supermärkte, wenn er stattdessen durch Straßenschluchten flanieren kann?! Auch in der Südstadt sind Wochentage längst Geschichte. Ich weiß gar nicht, ob die vielen Leute hinter all diesen Fenstern überhaupt noch aufstehen. Die Bäckereien haben geschlossen, ebenso der Metzger; nicht mal in der Einhorn-Apotheke brennt Licht. Was ist hier los? Habe ich eine weitere Stufe der Kontaktsperre nicht mitbekommen? Durfte ich womöglich gar nicht das Haus verlassen?
Während ich in mir und auch in meinem Handy nach Antworten suche, fallen mir immer mehr von diesen Eiermotiven auf. Hier liegen auf einer Fensterbank Eier in einem Körbchen; dort steht in einem Schaufenster ein großer Strauch, in dem Eier an Fäden hängen; verwirrend ist nur ein blinkender Baum in einem Fenster im 3. Stock. Ich denke, da sollten die Nachbarn unbedingt mal nach dem Rechten sehen.
Für mich fügen sich derweil die Mosaiksteinchen zusammen, denn auch der Hesselnberg hat sich in eine Eierlandschaft verwandelt. Mir wird einiges klar. Dass ich jetzt gerne Rührei essen würde, zum Beispiel. Und dass sich ein Hormonschub ankündigt. Obwohl ich an die Kanzlerin denke. „Eine Pandemie kennt keine Feiertage", hat sie kürzlich gesagt. Ich möchte das ergänzen: Eine Pandemie und der Stadtteilschreiber kennen keine Feiertage!
Zur Feier des Feiertages erklimme ich oberhalb der „börse" einen grünen Hügel, um majestätisch auf meine Quartiere blicken zu können. Nach der Kanzlerin muss ich nun an eine weitere deutsche Lichtgestalt denken, und ich murmel' vor mich hin: Wenn DAS hier alles vorbei ist, dann hab ich aber mal so was von keine Termine - und ganz leicht einen sitzen.
Fotos: Jörg Degenkolb-Degerli
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